Gewerkschaften, Mindestlohn, Marxismus

Stellen wir uns vor, linke Theoretiker (höchst wahrscheinlich Slavoj Žižek voran) und Quantenphysiker würden sich zusammen tun, um eine Zeitmaschine zu bauen und Karl Marx in unsere Zeit holen, um ihn um Rat zu fragen. Was würde er wohl zur Situation unserer heutigen Gewerkschaft sagen?
Für Marx hatten die Gewerkschaften mehrere Aufgaben: Sie sollten die Konkurrenz der Arbeiter untereinander beseitigen und Arbeitsbedingungen erzwingen, die die Arbeiter über einen Status von Sklaven stellten. Sie sollten also für Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen kämpfen. Gewerkschaften sollten aber auch Organisationszentren der Arbeiterklasse sein, die die Arbeiter vor allem dafür vorbereiteten, das kapitalistische System zu beseitigen. Hier würde Marx also schon die ersten Probleme konstatieren. Unsere Gewerkschaften führen nur noch den Lohn- und Arbeitszeitkampf durch, aber arbeiten nicht mehr für die Abschaffung des kapitalistischen Systems.
Marx schrieb in seinem Werk „Lohn, Preis, Profit“: Die Gewerkschaften „verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als ein Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse.“ Dadurch akzeptieren die Gewerkschaften eine Trennung von Politik und Ökonomie.
Außerdem sind unsere Gewerkschaften zu sehr gesplittet. Dadurch können sie nicht die Kräfte der gesamten Arbeiterschaft bündeln, sondern konzentrieren sich nur auf bestimmte Bereiche und Branchen.
Wie sieht es nun, nach diesen allgemeinen Problem der Gewerkschaft, mit der gewerkschaftlichen Praxis der Tarifpartnerschaft aus? Auch hier hätte Marx wohl keine freundlichen Worte für uns. Das Wort „Partnerschaft“ suggeriert eine Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder einen Kompromiss zwischen Vertragspartnern. Der Antagonismus zwischen Arbeitern und Kapitalisten ist laut Marx aber ein Antagonismus, der im kapitalistischen System selbst liegt und ist daher von Natur aus unversöhnlich. Es herrscht eben ein Klassenkampf und keine Klassenpartnerschaft. Der Begriff ist also ein ideologischer und verschleiert nur die Klassengegensätze und der Klassenkampf der daraus resultiert. So würde Marx also die Schwäche unserer Gewerkschaften darauf zurückführen, dass sie das kämpferische Wesen ihrer Praxis verfehlt und dadurch zu viele Kompromisse eingeht (Womit auch die wenigen Streiks und Arbeitskämpfe in Deutschland erklärt wären).
Auch zum Thema gesetzlicher Mindestlohn würde Marx wohl ein ernstes Wörtchen mit uns reden. Der Mindestlohn bei Marx, ist der Lohn, der notwendig ist, sodass der Arbeiter sich und seine Famillie versorgen kann. Durch einen gesetzlichen Mindestlohn geben die Gewerkschaften die Bestimmung des Mindestlohns in die Hände von Unternehmen und Politikern. Die Gewerkschaften geben also einen Teil ihrer Verantwortung für den Lohnkampf ab und sagen, dass die Politiker eine bessere Vertretung der Arbeiter wären, als die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften würden damit also sich selbst, und damit die gesamte Arbeiterbewegung schwächen. Selbst wenn die Gewerkschaften eine Mitbestimmung verhandeln würden, wäre das zu wenig. Wir erinnern uns, dass die Gewerkschaften auch dazu da sind, auf die Abschaffung des kapitalistischen Systems hinzuarbeiten.
Besonders trickreich wird das Ganze, wenn man neuere Überlegungen von linken Theoretikern mit in Betracht zieht. Žižek schreibt in „Auf verlorenem Posten“: „Was ist, wenn, im Sinne dieser Logik, eine Behinderung der unbeschränkten Herrschaft des Marktkapitalismus dessen eigentlicher Impuls ist?“ Sprich, was ist, wenn unsere sozialstaatlichen Bemühungen, oder der sogenannte „Dritte Weg“ eigentlich das ist, was den Kapitalismus stabilisiert? Was wenn ein unbeschränkter Marktkapitalismus den Kapitalismus instabil werden lassen und seine Überwindung erleichtern würde? Bezieht man solch eine Überlegung mit ein, ist ein gesetzlicher Mindestlohn eine Stärkung des Kapitalismus und damit nicht im Interesse der Arbeiterbewegung. Die Gewerkschaften haben laut Marx also ihr Ziel aus den Augen verloren. Anstatt das kapitalistische System abschaffen zu wollen, wollen sie immer besser darin integriert werden. Für Marx wären unsere heutigen Gewerkschaften also wahrscheinlich nutzlos.


Entstanden als Hausaufgabe im Rahmen der Vorlesung Politische Theorie an der Universität Erfurt.
Aufgabenstellung:

Die meisten deutschen Gewerkschaften folgen bei ihrer Interessensvertretung dem Prinzip der
autonomen Tarifpartnerschaft mit den Arbeitgeberverbänden. Unabhängig vom Staat sollen dabei
die Löhne möglichst konsensuell ausgehandelt werden. Im internationalen Vergleich kommt es
deshalb in Deutschland eher selten zu Arbeitskämpfen, Streiks etc. Trotz dieser Tarifautonomie
fordern die Gewerkschaften seit einiger Zeit einen staatlich garantierten Mindestlohn für möglichst
alle Branchen.
Analysieren Sie diese Gewerkschaftspolitik mit Marx und Engels:
1. Ist die gewerkschaftliche Praxis der Tarifpartnerschaft nach Marx und Engels eine der heutigen
Situation angemessene politische Strategie für die Arbeiterbewegung?
2. Würden Marx und Engels die aktuellen gewerkschaftlichen Forderungen nach einem gesetzlichen
Mindestlohn unterstützen?

Kant ist schon nicht schlecht, aber Hegel ist Kokain

Wenn man nach einem Kanon von bedeutenden Philosophen fragt, dann werden immer 4 Namen genannt: Platon, Aristoteles, Kant und Hegel. Georg Wilhelm Friedrich Hegel lebte in einer torbulenten Zeit, sowohl intellektuell (das Werk Kant's hatte eine großen Einfluss auf ihn), als auch geschichtlich (französische Revolution etc.). Er war der letzte Philosoph, der ein umfassendes, universales, philosophisches System entwickelte. Hegels Einfluss ist noch bis heute riesig, vor allem was die spätere Entwicklung des Materialismus und Marxismus angeht, auf den Hegels Idealismus großen Einfluss hatte. Auch heute noch hat Hegel seine Aktualität nicht verloren, wie man zum Beispiel immer wieder an Denkern, wie Slavoj Zizek, mit seinem "lacanschen Hegelianismus", sieht. Wer sich mit tiefer zum Beispiel mit Marx beschäftigen will, kommt um Hegel nicht herum.

Die Texte Hegels sind wahrscheinlich die am schwersten zu verstehendsten Texte der Philosophiegeschichte. Auch Experten ist noch keine vollständige Interpretation seines Werkes gelungen. Das liegt nicht daran, dass er viele Fremdwörter benutzt oder dergleichen, sondern an seiner Art zu schreiben. Eine Dichte an Aussagen, die ein ungewohntes denken produzieren, haben den Effekt, dass man oft zweimal lesen und das Tempo variieren muss. Mal ist es besser zügig auf dem Fluss von Phrasen und Assoziationen zu gleiten und in Kauf zu nehmen, dass man eher eine Ahnung hat, was gemeint ist, als eine Erkenntnis und ein anderes Mal sollte man Satz für Satz oder vielleicht sogar Wort für Wort lesen. Die "Phänomenologie des Geistes" ist wohl der schwierigste seiner Texte. Er wirkt darin wie ein Konstrukteur, der mithilfe von Begriffen, ein Gerüst baut, dass zuerst zerbrechlich und leer wirkt, um es dann mit Beispielen anzuhäufen und zu bestücken. Bereits im ersten Drittel der Vorrede, hat Hegel ein Modell entwickelt, dass es auszuschmücken gilt.

Hegels Anspruch ist sehr hoch, er will nichts anderes, als die Philosophie zu einer wahren Wissenschaft zu machen. Entgegen zum Trend seiner Zeit, in der der Empirismus, vor allen in England, sich an großer Beliebtheit erfreute, war für ihn klar, dass Wahrheit nicht in der Anschauung oder Erfahrung besteht, sondern im Begriff (Platon hätte wohl gesagt: in den Ideen). Allerdings ist dieses Wahre nicht nur eine Substanz, sondern auch Subjekt. (Hegel 1807, S. 20) Wer sich ein bisschen auskennt, der wird es ahnen: Hegels Quasi-Naturgesetz der Dialektik kommt ins Spiel. Wahrheit ist nichts festes, was man nur entdecken brauch. Viel mehr ist es eine Bewegung: "Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze ist nur das durch seine Entwicklung vollendete Wesen" (ebd., S. 22) Sprich die Wahrheit ist das Resultat des Werdens, einer dialektischen Bewegung . (Die Dialektik wird oft heruntergebrochen auf die drei Begriffe: These, Anti-These, Synthese)

Nun führt Hegel die Begriffe des "an sich" und "für sich" ein. Er erläutert es am Beispiel des Embryos: Der Embryo ist zwar Mensch an sich, also Substanz, Form, allerdings ohne jegliche (dialektische) Selbstbewegung. Erst mit der Vernunft im Menschen, der sich selber dazu macht, was er ist, nämlich Mensch, erhält die Form eine Bewegung und er ist Mensch für sich. (ebd. S. 23)

Die Wahrheit kann nur im System der Wissenschaft dargestellt werden. Diese Wissenschaft ist der Geist, der an und für sich ist (also sowohl Substanz als auch Subjekt) und deswegen Wissen von sich selbst erlangt. (ebd. S. 25) Die Phänomenologie des Geistes soll nun das Werden des Geistes und somit der Wissenschaft beschreiben. Am Anfang war sie geistlos, bloß sinnliches Bewusstsein, entwickelt sich jedoch durch verschiedene Gestalten des Geistes, zum reinen Begriff. Diese Entwicklung ist aber nicht die Entwicklung eines besonderen Individuums, sondern einem allgemeinen Individuum, dem "Weltgeist". (ebd. S. 28) Jeder von uns durchläuft die Bildungsstufen des allgemeinen Geistes, allerdings nur jene, die in ihrer Gestalt schon ausgearbeitet sind. "Dieses erworbene Eigentum des Geistes ist die unorganische Natur des Individuums" (ebd. S. 29). Die Aufgabe des Individuums liegt nun also darin, von dieser unorganischen Natur, Erkenntnis zu erwerben, wodurch der allgemeine Geist ein Selbstbewusstsein bekommt, das Werden oder die Reflexion des "Weltgeistes".


Hier ist Hegels Ziel rein theoretisch schon erreicht. Durch die Dialektik der Philosophie, wird sie zur Wissenschaft. In ihr zeigt sich das Werden des Geistes und somit der Wahrheit. Diese paar Seiten zeigen, wie Hegel auf engem Raum, mit wenigen Begriffen, eine dichte Konstruktion erzeugt, die alle Gestalten des Geistes erfassen und erklären soll. Da die Phänomenologie fast 600 Seiten hat, wird einem klar, warum sie so ein harter Brocken ist und doch eines seiner einflussreichsten Werke.


Fortsetzung folgt...


(Der Autor stellt in diesem Artikel, seine Interpretation vor. Sollten mir Fehler unterlaufen sein oder ähnliches, bitte ich um Kommentare.)

Demokratie und Proletariat

"Wir stehen heute vor der Frage: Ist der alte griechische Name für das Vordringen der Ausgeschlossenen in den soziopolitischen Raum - Demokratie - noch die angemessene Bezeichnung für einen solchen Ausbruch des Egalitarismus? Es gibt da zu gegenteilige Positionen: einerseits das rasche Abtun der Demokratie als bloß illusorische Erscheinungsform ihres Gegenteils (der Herrschaft einer Klasse) und andererseits die Behauptung, dass die Demokratie, die wir haben, die real existierende Demokratie, eine Verzerrung der wahren Demokratie sei - ganz im Sinne der berühmten Antwort Gandhis auf die Frage eines britischen Journalisten, was er von der Demokratie halte: 'Eine gute Idee. Vielleicht sollten wir sie ausporbieren!'" (Zizek 2009, S. 272)
Ein interessanter Gedanke: Sollte man, wenn man von der heutigen Demokratie spricht, nicht von der real existierenden  Demokratie sprechen, im Gegensatz, zur eigentlichen Idee der Demokratie? Wie der real existierende Sozialismus nie die Anforderungen eines echten Sozialismus erfüllen konnte, kann unsere heutige Demokratie scheinbar nicht die Anforderungen die man an eine Demokratie stellt, erfüllen. Zizek beschreibt sehr schön, was Demokratie im eigentlichen Sinne bedeutet: "Das Vordringen der Ausgeschlossenen in den soziopolitischen Raum..." Der Demos der sich gegen die griechische Aristokratie stellt und mitbestimmen möchte. Immer öfter hört man, dass es uns an demokratischer Mitbestimmung fehlt, dass eigentlich die Lobbys und die Banken die Politik machen. "Postdemokratie" wie Colin Crouch unser System nennt, in dem formell alle demokratischen Instutionen und Prozesse vorhanden sind, Politik aber nicht vom "Demos" bestimmt wird. Leben wir also nach dem real existierenden Sozialismus, in der real existierenden Demokratie?

Eine klare Zeitdiagnose lautet: Der internationalen Linken fehlt es an einer Theorie. Eine Erneuerung des klassischen Marxismus, die sich nicht in den ausweglosen Problemen der Kritischen Theorie verstrickt, scheint dringend Notwendig. Die Linien eines Klassenkampfes sind nicht mehr so eindeutig sichtbar, wie zu Marx' Zeiten. Das Proletariat lässt sich nicht mehr so einfach bestimmen, wie in Zeiten der Industriegesellschaft. Ein Vorschlag Zizeks:
"Eine neue emanzipatorische Politik wird nicht mehr an einen einzelnen sozialen Akteur geknüpft sein, sondern muss von einer möglichst unkalkulierbaren Mischung verschiedener Akteure getragen werden. Uns vereint, dass wir im Gegensatz zu den Proletariern von einst, die 'nichts zu verlieren haben als ihre Ketten', Gefahr laufen, alles zu verlieren. Die Gefahr ist, dass wir auf abstrakte, leere cartesianische Subjekte ohne jeden Substanzgehalt reduziert werden, dass wir unserer symbolischen Substanz beraubt werden, dass unsere genetische Basis manipuliert wird und wir in einer lebensabweisenden Umwelt dahinvegetieren müssen. Diese dreifache Bedrohung unseres gesamten Seins macht uns gewissermaßen alle zu Proletariern, die auf eine 'substanzlose Subjektivität' reduziert sind, wie Marx in den Grundrissen schreibt. Die Figur des 'Anteils der Anteillosen' konfrontiert uns mit der Wahrheit unserer eigenen Position, und die ethisch-politische Herausforderung besteht darin, uns selbst in dieser Figur zu erkennen - wir sind sozusagen alle ausgeschlossen, von der Natur ebenso wie von unserer symbolischen Substanz." (Zizek 2009, S. 273)
 Dass wir gewisserweiße alle Proletarier sind, ist natürlich eine Einsicht, die nicht viel nützt. Zizeks "Anteil der Anteillosen" sind vor allem die Bewohner der Slums, die der Kapitalismus immer mehr hervorbringt. Dieser Anteil der zwar zur Gesellschaft gehört, in ihr aber keinen Platz findet. Sie haben keine Staatsbürgerschaft, kein offizielles Einkommen etc., sind somit also Ausgeschlossen, durch Schattenwirtschaft etc. allerdings in die Gesellschaft eingebunden. Hier sieht Zizek den Keim der Zukunft. Diese Menschen sind von allen Restriktionen des Kapitalismus befreit. Sie finden neue Formen der Organisation und es werden immer mehr. Das ist die Klasse (Analog der damaligen Arbeiterklasse) die mit der Abschaffung des Kapitalismus die Abschaffung ihrer eigenen Klasse erreichen würde. Die heutigen Antagonismen die der Kapitalismus hervorbringt sind andere, als die der klassischen marxistischen Vorstellung. Die heutigen Antagonismen bestehen (1) in der Ökologie, (2) der Unangemessenheit der Idee des Privateigentums für das sogenannte "geistige Eigentum", (3) in den sozialethischen Implikationen neuer technologisch-wissenschaftlicher Entwicklungen (insbesondere in der Biogenetik) und (4) neue Formen der Apartheid, neue Mauern und Slums. (4) stellt dabei die Schlüsselrolle für Zizek dar. Man kann sich die Probleme (1) - (3) gelöst vorstellen (zum Beispiel durch einen Totalitarismus), ohne dass die Frage der Gerechtigkeit, die in (4) zum Vorschein kommt, gelöst ist. (Zizek 2009, S.252 ff.) Der Antagonismus von Ausgeschlossen und Eingeschlossen scheint also der Hauptantagonismus unserer Zeit zu sein. Für eine proletarische Position schließt er daraus:

"Weil wir nach wie vor eine proletarische Position brauchen, eine Position des 'Anteils der Anteillosen'. Wenn man, mit anderen Worten, nach einem Vorbild sucht, so wäre das eher die gute alte kommunistische Formel des Bündnisses aus 'Arbeitern, armen Bauern, patriotischen Kleinbürgertum und redlichen Intellektuellen'; man beachte die unterschiedliche Verwendung der vier Begriffe: Nur die Arbeiter sind ohne Zusatz aufgeführt, während die anderen drei näher bestimmt werden. Genau das gleiche gilt für die vier Antagonismen von heute: Der Gegensatz zwischen den Ausgeschossenen und den Eingeschlossenen bildet den Basisantagonismus, der das gesamte Kampfterrain bestimmt. Dementsprechend gehören nur diejenigen Ökologen dazu, welche die Ökologie nicht zur Legetimierung der Unterdrückung der 'Schadstoffe produzierenden' Armen benutzen und die Dritteweltländer zu disziplinieren versuchen; nur diejenigen Kritiker der Biogenetik, die der konservativen (religiösä-humanistischen) Ideologie widerstehen, die allzuoft hinter dieser Kritik stekct; und nur diejenigen Kritiker des geistigen Privateigentums, die das Problem nicht auf eine rein juristische Frage reduzieren." (Zizek 2009, S. 265)
 So könnte also eine Formulierung des heutigen Proletariats aussehen. Viele interessante Details gehen bei solch einer zusammenfassenden Darstellung natürlich verloren. Wer keine Angst vor anspruchsvoller Lektüre hat, der sollte sich ruhig einmal mit Zizeks Ideen beschäftigen. Sie sind sehr konsequent und dadurch in ihren Schlüssen radikal und provokant, aber waren das Marx' Ideen zu seiner Zeit nicht auch? (Zizek schreibt am Anfang: "Die Zeit der großen Erklärungen ist vorbei, auch in der Politik sollten wir nicht mehr nach alles erklärenden System und blobalen emanzipatorischen Projekten streben... Sollten Sie auch nur die geringste Sympathie für diese Position empfinden, können Sie aufhören zu lesen und das vorliegende Büchlein wegwerfen." Diesen Rat sollte man wirklich ernst nehmen)

Verweise: Zizek, Slavoj: Auf verlorenem Posten, Suhrkamp: 2009, Frankfurt a. M.

Zizek: First as Tragedy, Then as Farce

"Marx eröffnet seinen Achtzehnten Brumaire mit einer Korrektur der Hegelschen Idee, nach der sich Geschichte notwendig wiederhole: Hegel habe vergessen hinzuzufügen, dass sie sich zunächst als Tragödie und dann als Farce ereigne." (Zizek: Auf verlorenem Posten, 2009, Suhrkamp)

Ein bisschen Theorie von Zizek in diesem genialen Animationsvideo. Auch andere Videos dieses Youtube Accounts sind zu empfehlen.

Bin Laden tot

Die Amerikaner jubeln, der Staatsfeind Nummer 1 wurde, bei einem Militäreinsatz in Pakistan, getötet. Die ganze Welt wundert sich, wie Bin Laden Jahre lang, quasi direkt neben der pakistanischen Armee, wohnen konnte. Keiner wundert sich jedoch, wie diese Aktion einmal mehr, die vom Westen so oft geprießenen Werte unterminiert. Was dort in Pakistan stattgefunden hat, war im Prinzip eine Hintrichtung. Das so oft beschworene Prinzip des Rechtsstaates und des Humanismus findet anscheinend keine Anwendung, wenn die Verbrechen nur schwer genug waren. Kein Prozess für Bin Laden und die Leiche wurde schnell im Meer entsorgt. (Vielleicht hatte da jemand Angst, dass unerfreuliche Informationen ans Tageslicht kommen, wenn man Bin Laden einen Prozess zugesteht? Ein Schelm der hier böses denkt.) Außerdem verletzte die Militäroperation eindeutig geltendes Völkerrecht. Die Souveränität (ein weiteres Prinzip das die westliche Welt quasi entwickelt hat) Pakistans zählte plötzlich nicht mehr.
Viel interessanter ist jedoch, wie diese Nachricht vorgetragen wurde. Es wurde zwar nicht explizit gesagt, dass Bin Laden de facto hingerichtet wurde, allerdings hörte man nie so etwas, wie die Aussage, dass er im Kampf gefallen ist oder die Amerikaner auch nur probiert hätten, ihn lebend zu bekommen (der Kopfschuss ist da ein klares Symbol). Slavoj Žižek schreibt in seinem umstrittenen Buch "Auf verlorenem Posten" (Das in Deutschland zensiert wurde, weil er schrieb, dass Hitler nicht radikal genug war. Hier merkt man allerdings, dass die Verantwortlichen wohl seine Gedankengänge einfach nicht verstanden, denn in mehreren Interviews hat er darauf hingewiesen, was er mit diesem Satz meint: "'Hitler war nicht radikal genug' meint, dass Gandhi radikaler war."), dass Moral nie nur eine Angelegenheit des persönlichen Gewissens sei.
"Sie kann nur funktionieren, wenn sie von dem getragen wird, was Hegel den 'objektiven Geist' nennt, der Menge von ungeschriebenen Regeln, die den Hintergrund jeder Tätigkeit des einzelnen bilden und uns sagen, was hinnehmbar ist und was nicht."
Deswegen sei es auch nicht nötig, sich in unserer Gesellschaft gegen Vergewaltigung auszusprechen, weil jedem "dogmatisch" klar ist, dass Vergewaltigung verwerflich ist. (Žižek, 2009) Außerdem weißt er darauf hin, dass die Form immer einen eigenen Inhalt transportiert, ein Beispiel von Žižek:
 "Es gibt eine beliebte und scheinbar überzeugende Antwort auf die Bedenken gegenüber der jüngsten US-amerikanischen Praxis, terrorverdächtige Gefangene zu folter: 'Was soll die ganze Aufregung? Die USA geben doch jetzt nur (halb) offen zu, was nicht nur sie, sondern alle anderen Staaten auch schon immer gemacht haben - wenn überhaupt, dann haben wir jetzt weniger Heuchelei...' Dem sollte man mit einer einfachen Gegenfrage entgegnen: 'Wenn die hohen Repräsentanten der USA nur das meinen, warum sagen sie es uns dann? Warum machen sie nicht einfach stillschweigend weiter wie bishier?' Die menschliche Sprache zeichnet sich durch eine irreduzible Lücke zwischen dem Sprechakt und dem dabei übermittelten Inhalt aus: 'Du sagst das, aber warum sprichst du es jetzt offen aus?'" (ebd.)
Hier kommt nun wieder Bin Ladens Tod ins Spiel. Jedem einigermaßen klar denkenden Mensch war klar, dass Bin Laden keinen Prozess vor einem Gericht bekommen würde. Allerdings ist die Tatsache, dass im Prinzip offen zugegeben wurde, dass er hingerichtet wurde, und die Gefangennahme bin Ladens nie das Ziel war, erschreckend. Ähnlich wie im Fall der Folter, bei dem das offene Zugeben, auf noch schlimmeres verweist, deutet auch hier alles darauf hin, dass die Verletzung von Werten, die die westliche Welt so hoch hängt, selbstverständlicher ist, als man die Öffentlichkeit glauben lässt.


Verweis: Slavoj Žižek: Auf verlorenem Posten, Suhrkamp: 2009, Frankfurt a. M.