Philosoph Badiou über die Finanzkrise

Kein Philosoph ist so Bedingungslos in seinem Denken wie Alain Badiou. Erst spät wurde er als ernstzunehmender Philosoph wahrgenommen. Doch mittlerweile gilt er als einer der einflussreichsten radikalen Denkern. Er vertritt die marxistische Theorie mit seiner eigenen ausführlichen Revision, die eine Ontologie und einen Begriff des Ereignisses bietet, die Veränderungen denken lässt.

Seine Analyse der Finanzkrise ist mehr als lesenswert: "Totaler Bruch mit dem Kapital-Parlamentarismus, nah am Realen der Völker erfundene Politik, Souveränität der Idee: alles ist da, das uns vom Krisenfilm freimacht und uns der Fusion lebendigen Denkens und organisierter Aktion übergibt."

Siehe: Philosoph Badiou über die Finanzkrise


Kommentar zum Landesparteitag DIE LINKE Thüringen in Suhl



Am Wochenende fand der Landesparteitag der Thüringer LINKEN in Suhl statt. Statt über den viel diskutierten Generationswechsel in der Führung zu reden, geht es mir vor allem darum, welche ideologischen und theoretischen Standpunkte im offiziellen Diskurs der Partei deutlich wurden.

Zuerst das Positive: Das globale Problem mit dem wir Konfrontiert werden, wird endlich wieder klar benannt. Es heißt Kapitalismus. Endlich ist es gelungen den hegemoniellen, neoliberalen Diskurs vom Kapitalismus, als beste aller möglichen Welten und „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) zu verändern. Das kapitalistische System hat sich weiterentwickelt, allerdings nichts an seiner strukturellen Krisenhaftigkeit eingebüßt. Somit muss eine linke Partei darauf bestehen, eine Alternative anzubieten. Auch der Anspruch eine Bewegungspartei zu sein, d.h. tief in sozialen Bewegungen verwurzelt zu sein, um gesamtgesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, was wiederum nicht nur durch Parlamentarismus alleine möglich ist, wird betont. In aktuellen politischen Konstellationen ist der Spielraum der parlamentarischen Parteien eher gering einzuschätzen, umso wichtiger ist die Organisation des Widerstandes außerhalb der Parlamente. Es gilt ein Problembewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen, dass sich nicht auf Moralisierung beschränkt, sondern auf die strukturellen Defizite des Systems hinweist. Daher muss sich die DIE LINKE als der parlamentarische Arm einer breit aufgestellten linken, emanzipatorischen Bewegung sehen. Besonders Bernd Riexinger scheint hier richtig eingestellt zu sein. Seine Rede hat auf jeden Fall überzeugt.

Doch es gibt auch einige Entwicklungen, die äußerst bedenklich sind. Nach der zumindest verbalen Öffnung der SPD zur LINKEN, wird gesagt, dass es gut sei, dass die SPD endlich begriffen habe, dass DIE LINKE eine ganz normale Partei sei. Solche Zugeständnisse würden DIE LINKE aber überflüssig machen. Die Sonderstellung der Partei liegt eben genau daran, keine „ganz normale“ Partei des bürgerlichen Spektrums zu sein, sondern eine Sozialistische Partei, für die das kapitalistische System nicht das Ende der weltgeschichtlichen Entwicklung ist. Eine linke Partei sollte vielmehr mit dem Anspruch auftreten, eben nicht eine bessere Sozialdemokratie zu sein, sich eben nicht auf Kompromisse mit Kapitallogik und bürgerlicher Ideologie einzulassen. Sie muss darauf bestehen eine Alternative anzubieten, wie auch immer man sie nennt. Im Moment spricht man vom demokratischen Sozialismus. Wenn das mehr sein soll, als soziale Marktwirtschaft, die im Großen und Ganzen ein Konstrukt der bürgerlichen Ideologie ist, die davon ausgeht, strukturelle Defizite des Marktes innerhalb der Marktlogik zu beheben, dann sollte man darüber nachdenken, die kommunistische Hypothese wieder in Anspruch zu nehmen. Dazu gehört zu sagen, dass es strukturelle Veränderungen, weg von Lohnarbeit und Kapitallogik braucht, um in einer freien Gesellschaft zu leben. Man verstehe mich nicht falsch: Der Kommunismus des 20. Jahrhunderts ist kläglich gescheitert, aber das heißt nicht, dass sein radikal, emanzipatorische Gehalt aufgegeben werden muss. Daher gilt es jetzt, wo man es geschafft hat, den hegemoniellen Diskurs über das „K-Wort“ Kapitalismus, weg vom „Ende der Geschichte“, hin zu einem globalen Problem das einer Lösung bedarf, auch sein Gegenpart, das „K-Wort“ Kommunismus wieder neu zu besetzen. Weg von der ideologisch-bürgerlichen Vorstellung des Kommunismus als totalitärer Staat und Gulag, wieder hin zu einem radikalen, emanzipatorischen Projekt. Doch dazu darf man keine Angst haben, das Wort in den Mund zu nehmen.

Ein weiterer Punkt ist die vorschnelle Betonung des Handelns über das Denken und Sprechen. Immer wieder wurde betont, man wolle nun endlich aufhören zu reden und anfangen zu handeln. Ein Sprecher zitierte Rosa Luxemburg sinngerecht: „Handeln ist verdammt nochmal meine Pflicht!“ Man sollte sich im Klaren sein, woher so ein Diskurs rührt. Die die uns predigen, dass wir endlich aufhören sollten nachzudenken und zu reden, uns realistische Forderungen suchen und handeln sollten, sind bürgerliche Pseudo-Humanisten wie Bill Gates. „«Lasst uns etwas tun» bedeutet «lasst uns nicht nachdenken»“ (Slavoj Zizek) Man sollte jedoch darauf achten, dass sich die Linke seit mehreren Jahrzehnten in einem theoretischen Defizit befindet. Die Linke befindet sich international gesehen im Status der Blindheit, da es keine klaren Vorstellungen davon gibt, wie das kapitalistische System wirklich überwunden werden kann. Daraus folgt ein einfacher Pragmatismus der sich an Forderungen orientiert, die irgendwie Schadensverminderung leisten sollen. Doch dies kann nicht der letzte Anspruch einer linken Partei sein. Es geht vielmehr darum, erneut rücksichtslose Analysen anzustellen und daraus Forderungen zu entwickeln, die das System ins Herz treffen und systematische, emanzipatorische Wirkung entfalten. (Zum Beispiel die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, die die Lohnarbeitslogik untergraben würde.) Daher plädiere ich für mehr Dogmatismus. Und auch hier nicht im Sinne: „Zurück zum klassischen Marxismus-Leninismus oder Stalinismus!“, sondern im Sinne, dass es grundlegende Einsichten gibt, die in einer linken Partei nicht zur Debatte stehen können. Dazu gehört, dass eine freie Gesellschaft nur durch die Überwindung des Kapitalismus möglich ist. Daher sollte DIE LINKE genau das tun, was sie bisher prima geschafft hat, nämlich den hegemonialen Diskurs nach links verschieben. Jetzt wo selbst eine CDU in gewisser Weise vom Mindestlohn sprechen kann, ohne einen Aufschrei bei ihre Mitgliedern hervorzurufen, kommt es darauf an, nicht an dieser Schwelle halt zu machen. DIE LINKE muss ihr Alleinstellungsmerkmal als einzige Alternative zum bestehenden System aufrechterhalten, indem sie nach neuen Forderungen sucht, die auch wirklich eine Alternative darstellen, ansonsten wird das Feld weiterhin von Rechtspopulisten in Anspruch genommen. Daher gilt es dem ideologischen Ruf nach sofortigem Handeln zu widerstehen. Zum Schluss kann ich nur Slavoj Zizek aus einem Interview zitieren, weil ich es selbst nicht besser ausdrücken könnte:

„Aber wir befinden uns in der tragischen Situation, dass wir kein Rezept haben. Wir wissen es ganz einfach nicht. Als Philosoph kann ich nur zeigen, welche Fragen falsch gestellt werden. Ich habe keine Antworten, ich bluffe nur. Aber manchmal ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen.

Bisher lautete die marxistische These: Philosophen haben die Welt nur interpretiert, wir müssen sie ändern. Vielleicht sollte unser Motto im 21. Jahrhundert sein: Wir haben zu oft versucht, die Welt zu ändern. Jetzt ist es Zeit, sie zu interpretieren.“