Bin Laden tot

Die Amerikaner jubeln, der Staatsfeind Nummer 1 wurde, bei einem Militäreinsatz in Pakistan, getötet. Die ganze Welt wundert sich, wie Bin Laden Jahre lang, quasi direkt neben der pakistanischen Armee, wohnen konnte. Keiner wundert sich jedoch, wie diese Aktion einmal mehr, die vom Westen so oft geprießenen Werte unterminiert. Was dort in Pakistan stattgefunden hat, war im Prinzip eine Hintrichtung. Das so oft beschworene Prinzip des Rechtsstaates und des Humanismus findet anscheinend keine Anwendung, wenn die Verbrechen nur schwer genug waren. Kein Prozess für Bin Laden und die Leiche wurde schnell im Meer entsorgt. (Vielleicht hatte da jemand Angst, dass unerfreuliche Informationen ans Tageslicht kommen, wenn man Bin Laden einen Prozess zugesteht? Ein Schelm der hier böses denkt.) Außerdem verletzte die Militäroperation eindeutig geltendes Völkerrecht. Die Souveränität (ein weiteres Prinzip das die westliche Welt quasi entwickelt hat) Pakistans zählte plötzlich nicht mehr.
Viel interessanter ist jedoch, wie diese Nachricht vorgetragen wurde. Es wurde zwar nicht explizit gesagt, dass Bin Laden de facto hingerichtet wurde, allerdings hörte man nie so etwas, wie die Aussage, dass er im Kampf gefallen ist oder die Amerikaner auch nur probiert hätten, ihn lebend zu bekommen (der Kopfschuss ist da ein klares Symbol). Slavoj Žižek schreibt in seinem umstrittenen Buch "Auf verlorenem Posten" (Das in Deutschland zensiert wurde, weil er schrieb, dass Hitler nicht radikal genug war. Hier merkt man allerdings, dass die Verantwortlichen wohl seine Gedankengänge einfach nicht verstanden, denn in mehreren Interviews hat er darauf hingewiesen, was er mit diesem Satz meint: "'Hitler war nicht radikal genug' meint, dass Gandhi radikaler war."), dass Moral nie nur eine Angelegenheit des persönlichen Gewissens sei.
"Sie kann nur funktionieren, wenn sie von dem getragen wird, was Hegel den 'objektiven Geist' nennt, der Menge von ungeschriebenen Regeln, die den Hintergrund jeder Tätigkeit des einzelnen bilden und uns sagen, was hinnehmbar ist und was nicht."
Deswegen sei es auch nicht nötig, sich in unserer Gesellschaft gegen Vergewaltigung auszusprechen, weil jedem "dogmatisch" klar ist, dass Vergewaltigung verwerflich ist. (Žižek, 2009) Außerdem weißt er darauf hin, dass die Form immer einen eigenen Inhalt transportiert, ein Beispiel von Žižek:
 "Es gibt eine beliebte und scheinbar überzeugende Antwort auf die Bedenken gegenüber der jüngsten US-amerikanischen Praxis, terrorverdächtige Gefangene zu folter: 'Was soll die ganze Aufregung? Die USA geben doch jetzt nur (halb) offen zu, was nicht nur sie, sondern alle anderen Staaten auch schon immer gemacht haben - wenn überhaupt, dann haben wir jetzt weniger Heuchelei...' Dem sollte man mit einer einfachen Gegenfrage entgegnen: 'Wenn die hohen Repräsentanten der USA nur das meinen, warum sagen sie es uns dann? Warum machen sie nicht einfach stillschweigend weiter wie bishier?' Die menschliche Sprache zeichnet sich durch eine irreduzible Lücke zwischen dem Sprechakt und dem dabei übermittelten Inhalt aus: 'Du sagst das, aber warum sprichst du es jetzt offen aus?'" (ebd.)
Hier kommt nun wieder Bin Ladens Tod ins Spiel. Jedem einigermaßen klar denkenden Mensch war klar, dass Bin Laden keinen Prozess vor einem Gericht bekommen würde. Allerdings ist die Tatsache, dass im Prinzip offen zugegeben wurde, dass er hingerichtet wurde, und die Gefangennahme bin Ladens nie das Ziel war, erschreckend. Ähnlich wie im Fall der Folter, bei dem das offene Zugeben, auf noch schlimmeres verweist, deutet auch hier alles darauf hin, dass die Verletzung von Werten, die die westliche Welt so hoch hängt, selbstverständlicher ist, als man die Öffentlichkeit glauben lässt.


Verweis: Slavoj Žižek: Auf verlorenem Posten, Suhrkamp: 2009, Frankfurt a. M.

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